Urs Büttner (r.) war wohl der erste Bäckergeselle, der nach dem zweiten Weltkrieg auf Wanderschaft ging. Seine Tour führte ihn sogar zum Kap Hoorn.
© Werbegemeinschaft des Deutschen Bäckerhandwerks e.V./Edgar

Die Walz bietet Freiheit zum Lernen

Nicht nur Tischler und Zimmerer wandern als Gesellen. Handwerkskammer-Mitarbeiter Markus Römer erforscht im Rahmen seiner Dissertation die Motivation zum Wandern in der heutigen Zeit.

Zwei Männer, ein Thema, tausende Geschichten: Während Urs Büttner als Bäcker auf der Walz war, beschäftigt sich Markus Römer wissenschaftlich mit den Wanderjahren nach der Lehrzeit. Im Berufsbildungszentrum der Handwerkskammer Oldenburg organisiert Markus Römer die Abläufe des Kursprogrammes. Darüber hinaus hat sich der Diplom-Soziologe gefragt, wo im Handwerk traditionelle Elemente lebendig sind. „So bin ich aufs Wandern gekommen“, beschreibt er seinen Ausgangspunkt. Das war Anfang 2019.

Für Urs Büttner hingegen begann das Thema Gesellenwanderung, die auch als „Tippelei“ bezeichnet wird, schon Anfang der 1990er-Jahre. Dass er fünf Jahre unterwegs sein würde, ahnte der Bäcker damals nicht. Üblicherweise dauert eine Walz mindestens drei Jahre und einen Tag. Büttner zog los, zunächst ins Gebiet der ehemaligen DDR. „Für mich als Westberliner war das durchaus spannend“, sagt der 49-Jährige. Seine Tour führte ihn nach Schweden, Spanien und schließlich sogar zum Kap Hoorn in Chile. „Dass es so weit geht, hatte ich nicht geplant. Das hat sich einfach so ergeben.“

Büttner war wohl der erste Bäckergeselle auf Wanderschaft nach dem zweiten Weltkrieg. Er hat sich intensiv mit den Vorkriegsschriften des Autors und Sozialpolitikers Rudolf Wissell (1869-1962) beschäftigt, um von Traditionen zu erfahren. Heute möchte Büttner die Walz bei jungen Bäckern populärer machen. Gemeinsam mit dem Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks hat er für die Wanderschaft unter jungen Gesellen geworben und 2016 die Vereinigung „Vereinigte Löwenbrüder & Schwestern Europas“ mitbegründet. Seit über hundert Jahren habe es eine solche Vereinigung für das Lebensmittelhandwerk nicht mehr gegeben. „Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Traditionen des Handwerks zu pflegen und junge Menschen moralisch zu festigen“, so Büttner.

So offen wie Urs Büttner sprechen nicht viele Wandergesellen über ihre Walz. „Interviewpartner waren schwer zu finden“, berichtet Markus Römer von seinem „Feldzugang“.  So bezeichnen Wissenschaftler zum einen das Abgrenzen des Forschungsfeldes und gleichzeitig die Kontaktaufnahme mit den aktiv handelnden Personen. Römer konnte Telefoninterviews führen und 70 Freireisende auf einer Sommerbaustelle in Berlin besuchen.

Neben historischen Hintergründen und dem Unterschied von Schachtgesellen und Freireisenden interessiert sich Römer vor allem für „die Walz heute“. Warum unterwerfen sich junge Menschen den strengen Regeln, die gegen gesellschaftliche Trends laufen? Zum Beispiel darf kein Mobiltelefon mitgeführt werden. Zudem berichteten Interviewpartner, dass sie in ihrer Kluft ungewollt als „Attraktion“ fotografiert wurden.

Eine wiederkehrende Antwort auf die Frage nach der Motivation ist das Lernen. Römer gibt beispielsweise folgendes Zitat eines Gesellen wieder: „Das finde ich das Schönste auf Wanderschaft, dass du diese Freiheit hast, einerseits zu lernen als Geselle, aber im Modus zu sein wie ein Lehrling. Du kommst wo an und du darfst was lernen, nicht: Du musst was leisten. Natürlich leistest du was. Aber du hast Toleranz. Und auch: Ich muss nicht arbeiten, um Geld zu verdienen, sondern nur, um zu überleben und habe so die Freiheit, was zu lernen.“

Markus Römer, Mitglied im Arbeitskreis Handwerksgeschichte des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, beschreibt die Walz als „Lebensmodus“. Außeralltägliche Erfahrungen, das belegen die Antworten, üben eine Faszination aus. Die Hilfsbereitschaft bei Schlaf- oder Mitfahrgelegenheiten wird ebenfalls hervorgehoben. Für Abenteuerlustige gibt es unendlich viel zu erleben.

Tausende Geschichten, ein Thema, zwei Männer: Während der Theoretiker Markus Römer in Anlehnung an Rudolf Wissell festhält, dass die „Hochschule der freien Schule des Lebens“ weiterhin geöffnet sei, sagt der Praktiker Urs Büttner: „Auf Wanderschaft habe ich meinen Beruf lieben gelernt.“

Ansprechpartner: Markus Römer, Telefon 0441 232-154

Weitere Informationen: www.baeckerwalz.de